Brand vom Juli 1996


Die Tela steht in Flammen
Der Grossbrand vom Juli 1996 und seine Auswirkungen

Alles beginnt mit einem elektrischen Kabel. Irgend einmal ist die Isolation
beschädigt worden. Niemand merkt es. Der kleine Defekt im Produktionsgebäude
der Papierfabrik Tela in Niederbipp hat schwerwiegende Folgen.
Funken springen in gelagertes Papier, ein Glimmbrand entsteht. Aus
dem kleinen Glühen wird Stunden später ein Grossfeuer mit immensen
Ausmassen. Es ist der grösste Brand seit Menschengedenken im Oberaargau,
und er zählt zu den grössten Einzelbränden der Schweiz. Drei
Feuerwehrleute aus Herzogenbuchsee kommen bei ihrem Einsatz ums Leben.
Die Brandkatastrophe löst aber auch Entwicklungen aus, deren Folgen
noch Jahre später zu spüren sind.

Brandausbruch
Der Freitag, 19. Juli 1996, ist ein warmer Sommertag. In der Tela in Niederbipp
arbeiten die Angestellten wie gewohnt. Doch um 11.39 Uhr wird
der Alltag in der Fabrik jäh unterbrochen. Eine automatische Brandmeldung
erfolgt: Rauch im Lagerkeller unter der grossen Produktionshalle.
Sofort rückt die Betriebsfeuerwehr so weit wie möglich zum Brandherd
vor. Die Erkenntnis: Etwa in der Mitte des riesigen Untergeschosses brennt
ein WC-Papierstapel auf der Oberseite, es entwickelt sich starker Rauch.
Ab einem Innenhydrant wird eine Leitung erstellt und drei Männer mit
Atemschutzgeräten dringen in den Raum vor. Um 11.47 Uhr geht der
Alarm von der Tela an die Regionale Einsatzzentrale der Kantonspolizei
Bern. Diese alarmiert die Stützpunkt-Feuerwehr Niederbipp. Inzwischen
wird das gesamte Personal der Tela Niederbipp evakuiert. Betriebsinterne
Kontrollen zeigen, dass sich niemand mehr im Gebäude aufhält. Um
11.57 Uhr trifft die Feuerwehr Niederbipp mit einem Tanklöschfahrzeug
und dem Atemschutz ein. Die Atemschutz-Trupps der Tela-Feuerwehr
werden zurückgezogen und durch Trupps der Feuerwehr Niederbipp abgelöst.
Diese erhalten Lotsen der Betriebsfeuerwehr zugeteilt.
Die Situation im Keller der Produktionshalle spitzt sich mehr und mehr zu.
Der Rauch wird dichter, die Hitze steigt, und ein wichtiger Informant fehlt.
Der Kommandant der Tela-Betriebsfeuerwehr hat eine Rauchvergiftung
erlitten und muss ins Spital transportiert werden. Als der Vize-Kommandant
der Feuerwehr Niederbipp die Einsatzleitung übernimmt, findet deshalb
kein detaillierter Übergaberapport statt. Es fehlt die Information, wo
es im Keller brennt. Kurz nach Mittag werden auch die Stützpunkt-Feuerwehren
von Langenthal und Herzogenbuchsee alarmiert. Viele der
Männer sitzen gerade beim Essen, als ihre Piepser losgehen. Keiner denkt
nur im entferntesten daran, dass nicht mehr alle nach Hause zurückkehren
werden.

Das Unglück
Um 12.25 Uhr sind auch die Wehren von Langenthal und Herzogenbuchsee
mit ihren Piketts 1 – das sind je 40 Mann – auf dem Platz. Alle
drei Feuerwehren erstellen ab ihren Tanklöschfahrzeugen Wasserleitungen,
mit denen sie ins Gebäudeinnere eindringen sollen. Um genauer zu
erkunden, was im Keller überhaupt brennt, werden Atemschutz-Trupps
losgeschickt. Der Trupp 1 von Herzogenbuchsee startet um 13 Uhr. Zehn
Minuten später geht der Trupp 2 los; er besteht aus Rolf Märki, Ulrich
Greub und Andreas Übersax. Truppchef Märki meldet wenig später per
Funk, es sei heiss im Keller, aber auszuhalten. Um 13.30 fordert der TruppÜberwacher
die drei auf zurückzukehren. Truppchef Rolf Märki funkt darauf:
«Wir kommen zurück.» Und nun geschieht im Rauch und in der Hitze
des Lagerkellers etwas, das nie ganz geklärt werden kann. Die drei
erscheinen nicht beim Eingang des Kellers. Auf Funkrufe antworten sie
nicht mehr. Als andere Männer sich dem Feuerwehrschlauch entlang
tasten,
den der Trupp Märki mitgezogen hat, liegt das Schlauchende am
Boden. Von den drei Vermissten keine Spur. Ein Unglück ist geschehen.
Wie schwierig die Situation im Keller zu dieser Zeit ist, zeigen Sätze von
Feuerwehrleuten, die unten im Einsatz gewesen sind. «Es ist saumässig
heiss dort unten», klagt einer. «Eine solche Hitze habe ich noch nie er-

Nur dünner Rauch steigt am Freitag Nachmittag aus der Tela, doch im Keller
herrscht ein Inferno.

lebt», stöhnt ein anderer. «Man sieht nicht einmal die Hand vor dem Gesicht
», erzählt ein Atemschutz-Trüppler, «es ist ein Inferno dort unten».
Dazu muss man wissen, dass sich der Keller unter der ganzen Fabrikhalle
auf 300 Meter Länge und 90 Meter Breite erstreckt. Gelagert sind dort
Stapel mit Servietten und WC-Papier, grosse Papierrollen und Verpackungsmaterial
wie Faltkartons. Der Lagerkeller ist ein einziges, grosses
Labyrinth. Am frühen Nachmittag des 19. Juli herrscht dort unten sengende
Hitze, die nicht entweichen kann, und dazu nimmt der beissende
Rauch jegliche Sicht. Für die drei Männer aus Herzogenbuchsee wird der
Raum zur Todesfalle.

Der Schock sitzt tief
Ganz anders präsentiert sich zur gleichen Zeit die Situation draussen vor
der grossen Fabrikhalle. Aus verschiedenen Kellerfenstern der Halle und
aus Fenstern im Obergeschoss des Bürotraktes steigt zwar Rauch auf,
aber es ist dünner, weisser Rauch, den die recht starke Bise gegen Westen
verweht. Verschiedene Feuerwehrfahrzeuge sind vor dem Gebäude aufgefahren,
und übers ganze Gelände verteilt stehen kleine Gruppen von
Feuerwehrleuten. Löschaktionen sind nicht zu sehen. Keine Hektik, kein
Lärm, es ist fast ruhig auf dem Brandplatz. Ab und zu kommen Atemschutztrupps
vom Einsatz zurück, lassen sich entkräftet ins Gras fallen.
Die Situation wirkt zwar etwas ungemütlich – die Schilderungen der Leute,
die im Keller waren, tönen nicht gut – aber bedrohlich scheint die Lage
nicht zu sein.
Gegen 14 Uhr kommt jedoch Nervosität auf. «Verdammt, es werden drei
vermisst», hört man sagen. Edgar Müller, Feuerwehrinspektor des Amtes
Wangen, rennt, Schlimmes ahnend, in Richtung Einsatzleitung. Ein Atemschutztrupp
sei nicht vom Einsatz zurückgekommen, heisst es. Die Männer
der verschiedenen Wehrdienste – es sind jetzt auch Wangen und
Wiedlisbach auf dem Platz – sind geschockt, werden stumm und nachdenklich.
Sie alle wissen: Ist der Luftvorrat der Atemschutzgeräte verbraucht,
so gibt es im dichten Rauch keine Überlebens-Chance. Die drei
Männer, das wird bald klar, sind höchstwahrscheinlich tot.
Im Verlauf des Nachmittags erhöht sich die Zahl der eingesetzten Helfer
ständig. Teile von Feuerwehren aus Balsthal, Oensingen und der Cellulosefabrik
Attisholz treffen ein, ein Rettungsheli der Rega landet, Männer
der Kantonspolizei ergänzen die zuerst eingetroffenen Beamten. Die Suche
der Vermissten durch Atemschutztrupps ist immer noch im Gang.
Dies ist auch der Grund, warum die Bekämpfung des Feuers während
Stunden ruht. Ein Problem ist zudem das Wasser, das vor Ort nur spärlich
vorhanden ist.
Gegen 16 Uhr findet auf freiem Feld neben der Tela die erste Medienorientierung
statt. Nur einige wenige Medienleute sind schon vor Ort. Zu ihnen
sprechen folgende Männer: Martin Sommer, Regierungsstatthalter
des Amtes Wangen, Feuerwehrinspektor Edgar Müller, Helmuth Elkuch,
Vorsitzender der Geschäftsleitung der Attisholz Holding, zu der die Tela
AG gehört, sowie ein Sprecher der Kantonspolizei Bern. Vielleicht seien
die Vermissten von einstürzenden Teilen getroffen worden, wird vermutet,
oder der Rückweg sei ihnen durch einstürzendes Material abgeschnitten
worden. Man hoffe aber immer noch auf ein Wunder, vielleicht
hätten sich die drei in einen Raum retten können, heisst es. Die Situation
im Lagerkeller der Tela wird zu diesem Zeitpunkt deutlich unterschätzt:

Am Freitagabend hat sich das Feuer in der Halle hinter den Verladerampen ausgebreitet.
Die riesigen Rauchwolken werden von der Bise nach Westen verfrachtet.

Von einem «Glimmbrand», der möglicherweise noch tagelang brennen
könne, spricht zum Beispiel Edgar Müller. Helmuth Elkuch rechnet mit einem
«längeren Ausfall der Produktion». Statthalter Sommer nennt den
Brand «ein Grossereignis» und vermutet einen Schaden in Millionenhöhe.
Um 16 Uhr sind bereits 300 Feuerwehrleute auf dem Brandplatz, doch eigentliche
Feuerbekämpfung hat noch nicht stattgefunden. Die Produktionshalle
der Tela steht nach wie vor unversehrt, nur dünner Rauch steigt
in den Sommerhimmel. Um 17.30 Uhr wird die Suche nach den Vermissten
wegen zu grosser Hitze und zu starkem Rauch abgebrochen. Im Keller
dürften nun 600 bis 800 Grad Celsius herrschen. Die Angehörigen der
drei Vermissten sind orientiert worden. Von Herzogenbuchsee zur Tela gebracht,
erhalten sie dort psychologische Betreuung. Noch sagen die Informationsverantwortlichen
nicht, aus welcher Wehr die drei Männer
stammen, man werde dies bekanntgeben, sobald man sie gefunden
habe. Doch ihre Herkunft sickert trotzdem durch.
Schon in dieser Phase wird der Brand in Niederbipp vor allem zum Medienereignis,
weil drei Feuerwehrleute vermisst werden, wahrscheinlich
gar tot sind. Nicht in allen Berichten wird aber genau informiert. Immer
wieder heisst es später, Rolf Märki, Ulrich Greub und Andreas Übersax seien
«in der Feuerhölle» oder im «Flammenmeer» umgekommen. Das ist
falsch. Die drei Atemschutz-Trüppler sind vielmehr an Rauchgasvergiftung
gestorben, wie die spätere Untersuchung feststellt. Auf ihrer Erkundung
im Lagerkeller sind sie gar nicht mit Feuer in Kontakt gekommen. Durch
Umstände, die nie ganz geklärt werden können, erhalten sie aber plötzlich
keine Atemluft mehr und reissen ihre Masken vom Gesicht. Doch im
dichten Rauch haben sie keine Chance: Sie ersticken innert kürzester Zeit.
Erst Stunden später, als die drei längst tot sind, steht der ganze Keller in
Flammen.

Neue Befehle
Kurz vor 17 Uhr wechselt die Einsatzleitung auf dem Brandplatz. Als neuer
Gesamteinsatzleiter bestimmt wird Christian Ruch, Kommandant der
Stützpunktfeuerwehr Langenthal. Für den weiteren Verlauf des Grossereignisses
erweist sich dies als gute Lösung. Doch für Ruch hat dieser Entscheid
Folgen, die sein Leben stark beeinflussen werden. Ab Freitag
abend bis am Sonntag ist der Langenthaler eine der Hauptfiguren auf
dem Platz. Er leitet über weite Strecken den Einsatz von vielen hundert
Feuerwehrleuten. Dazu wird er während des Brandes und auch noch später
von den Medienleuten befragt. Immer wieder muss Ruch dabei den
Einsatz der drei Buchser Feuerwehrleute rechtfertigen, die im Lagerkeller
gestorben sind. Er nimmt diese Pflicht auf sich, ohne je zu erwähnen, dass
er selbst erst am späten Freitag nachmittag Einsatzleiter geworden ist,
und dass der Einsatz des Atemschutz-Trupps Märki gar nicht in seiner Verantwortung
lag.
Christian Ruch analysiert als erstes die Situation auf dem Tela-Gelände.
Die Lage sieht jetzt deutlich schlechter aus: Der Brand hat sich im Lagerkeller
ausgebreitet, in einigen Bereichen dringt das Feuer bereits in den
Boden der Produktionshalle. Die Gefahr eines Übergriffs auf das dicht neben
der Halle stehende Bürogebäude ist gross. Weil die Elektrizitätsversorgung
der Tela ausgefallen ist, ist die betriebseigene Wasserversorgung
lahmgelegt. Die Wasserversorgung der Gemeinde Niederbipp ist bereits
knapp; maximal können von dort 2000 Liter pro Minute zur Tela geliefert
werden. Um 17.30 Uhr erhalten die Feuerwehren – zur Verfügung stehen
nun auch Detachemente der Berufsfeuerwehr Bern und der Feuerwehr
Münchenbuchsee – neue Aufträge. Die Ausbreitung des Feuers im Keller
und auf dem 1. Boden soll verhindert werden, ebenso ein Übergreifen auf
den Bürotrakt und das Gebäude des Hochregallagers. Geschützt werden
sollen auch der neben der Tela liegende Gemüsebaubetrieb und der Bauernhof.
Die Löschwasser-Situation muss verbessert werden, sei es durch
Wasserbezug von Oensingen oder aus der Dünnern. Die Kantonspolizei
organisiert zudem Löschhelikopter.

Der Feuersprung
Während die Aufträge an die verschiedenen Wehren erteilt werden, fährt
ein Lautsprecherwagen der Polizei durchs Dorf Niederbipp und fordert die
Bevölkerung auf, Fenster und Türen zu schliessen. Die ständigen Luftmessungen
haben eine leichte Konzentration an Schadstoffen im Rauch
ergeben, und dieser Rauch wird mit dem Wind direkt nach Niederbipp
verfrachtet. Die Einsatzleitung hat ein Angebot aus Wangen an der Aare
erhalten: die Offiziers- und Unteroffiziersschule der Rettungstruppen bie-
tet ihre Hilfe an. Um 18 Uhr werden die Soldaten aufgeboten. Sie sollen
in erster Linie Wasserleitungen legen, um die Wasserknappheit zu mindern.
Zu dieser Zeit ist ein Kommandoposten für die Führung der Operation
Tela eingerichtet. Dort koordiniert Regierungsstatthalter Martin Sommer
die Einsätze und stellt die Organisation auf dem Schadenplatz sicher.
Mehrere Ambulanz-Fahrzeuge sind vor Ort und Samariter stehen bereit.
Nach 19 Uhr werden die Gemeindeführungsorganisation Niederbipp und
Teile des Bezirksführungsstabes aufgeboten. Weitere Feuerwehren erhalten
nach 19 Uhr Aufgebote, so Aarwangen und Thunstetten-Bützberg.
Um 20.49 Uhr eskaliert die Situation. Das Feuer im Untergeschoss der Produktionshalle
springt explosionsartig ins Obergeschoss, dorthin also, wo
die Maschinen stehen, auf denen Servietten, WC-Papier und Taschentücher
hergestellt werden. «Feuersprung» nennen die Fachleute
diesen Vorgang. Wenige Minuten später, etwa um 21 Uhr, steht die ganze
Halle im Vollbrand, und dichte Rauchwolken quellen in den Abendhimmel.
Die Löschaktionen am Boden können nur wenig ausrichten. Wichtiger
ist es, die Nebengebäude vor dem Feuer zu bewahren. Im Verlauf des
Abends trifft weitere Verstärkung ein. Ein Löschwasserzug der SBB führt
Wasser von Oensingen zu. Nach und nach landen Helikopter in Niederbipp:
einer der Rega, zwei der Air Glacier, ein Super-Puma der Armee und
einer der Helog. Sie nehmen die Löschflüge auf, welche die ganze Nacht
hindurch andauern. Hergeflogen wird das Wasser einerseits aus der betriebseigenen
ARA der Tela, die mit Frischwasser ergänzt wird, andererseits
aus der Aare beim Kraftwerk Bannwil. Aufgeboten werden im weiteren
die Berufsfeuerwehr Basel und das Pikett 2 der Feuerwehr
Langenthal.
Am späteren Abend und in der Nacht bietet sich rund um die Tela ein Bild
der Katastrophe. Die Halle ist ein einziges Feuermeer, aus dem die Flammen
20 bis 30 Meter hoch schlagen. Dicker Rauch steigt in die Nacht. Auf
dem ganzen Tela-Gelände sind Feuerwehren im Einsatz. Im Scheinwerferlicht
versuchen sie zu löschen und die Nachbargebäude vor den Flammen
zu schützen. Ununterbrochen fliegen Helikopter mit ihren Löschsäcken
über die Tela und lassen das Wasser ins Feuer ab. Das Gelände ist
behelfsmässig abgesperrt, Ordnungskräfte verhindern, dass unbefugte
Personen zu nahe kommen. Rund um die Tela drängen sich die Schaulustigen,
die das Spektakel des Feuers in der warmen Sommernacht nicht
verpassen wollen. Auf den Feldwegen in der Umgebung herrscht deshalb

Die Tela-Produktionshalle steht im Vollbrand.

reger Autoverkehr. Gefährlich wird es vor allem auf den Geleisen der SBBLinie,
die nahe an der Tela vorüberführt. Schaulustige stehen zeitweise auf
der Strecke, so dass die Lokführer der durchfahrenden Züge verlangsamen
müssen und lange Pfeifsignale ertönen lassen.
Die brennende Halle zu retten ist unmöglich. Die Hauptaufgabe der vielen
hundert Feuerwehrleute besteht darin, ein Übergreifen des Feuers auf
Nebengebäude zu verhindern. Dies ist besonders beim Bürogebäude
schwierig, weil es nur wenige Meter neben der brennenden Fabrikhalle
steht. Dort ist zuerst die Feuerwehr Herzogenbuchsee im Einsatz. Verbissen
kämpfen die Männer gegen die Flammen, bis sie später abgelöst werden.
Stark gefährdet sind auch der Gemüsebaubetrieb und der Bauernhof
auf der Westseite der Tela, denn die Bise bläst die Glut direkt in diese
Richtung. Schon um 19.30 Uhr sind die Bewohner des Bauernhofs evakuiert
worden. Bauer Ueli Roth muss später auch sein Vieh, etwa 40 Tiere,
wegbringen, weil der Rauch tief über den Boden streicht. Bei der Evakuation
wird er vom Zivilschutz unterstützt. Auch Bruno Bösiger vom
Gemüsebaubetrieb muss reagieren. Während der gefährlichsten Phase in

Die Löschaktionen gehen auch am Samstag weiter.

stalliert er in einer Blitzaktion seine Pumpe, welche Wasser aus dem Bipperkanal
pumpt. Damit werden die Gebäude zum Schutz vor der Glut und
der Hitze abgespritzt.
Vom Feuer ist auch die Umgebung stark betroffen. Die Bewohner des der
Tela am nächsten stehenden Quartiers müssen sich wegen des schadstoffbelasteten
Rauches zur Evakuierung bereithalten. Der Rauch ist wegen
der Bise in ganz Niederbipp zu spüren und verursacht zum Teil Reizungen
der Augen. Doch auch Wangen an der Aare ist betroffen. Mit
dem Tela-Rauch sind Stoffe verfrachtet worden, die sich über dem Städtli
niederschlagen und viele Gärten weiss werden lassen. Die Piloten der
Helikopter berichten, bei ihrem Anflug von Westen hätten sie die ersten
Glut- und Aschenteile bereits über Solothurn gesichtet. Und ein Passant
in Niederbipp erzählt, die Rauchfahne sei am Abend sogar in Neuenburg
festzustellen gewesen.
Um 1.30 Uhr fordert der Regierungsstatthalter beim Eidgenössischen Militärdepartement
die Bereitschaftskompanie an. Alarmiert wird die Rettungs-
Kompanie II/24, die in Mörschwil SG stationiert ist. Die ganze Nacht
hindurch brennt die grosse Tela-Halle. Pausenlos fliegen die Helis ihre
Löscheinsätze.
Die Feuerwehrleute werden laufend durch frische Kräfte
ersetzt, welche neu eingetroffen sind. Im Einsatz stehen aber auch Polizisten,
Zivilschützer, Sanitäter und Soldaten.
Schon wenige Stunden nach dem Brandausbruch hat sich ein weiteres
Problem angekündigt: die Verpflegung. Die Helfer stehen teils über Stunden
im Einsatz, eine Situation, die bei Bränden bisher kaum je aufgetreten
ist. Der Zivilschutz von Niederbipp und später derjenige von Langenthal
nehmen sich dem Durst und dem Hunger der vielen hundert
Personen an. Auf dem Gelände der Tela wird eigens eine Kantine eingerichtet,
was sich als gute Lösung erweist. Die Versorgungsgruppe des Zivilschutzes
hat denn auch eine immense Aufgabe zu bewältigen: Während
einer Ablösung, also innerhalb acht Stunden, werden in Spitzenzeiten
nicht weniger als 1000 Portionen abgegeben. Zur Pflege kleinerer
Verletzungen steht schon seit dem Nachmittag der Sanitäts-Notfall-
Anhänger des Samaritervereins Niederbipp auf dem Areal.

Erste Bergung
Samstag morgen. Ein neuer Tag mit sommerlich schönem Wetter bricht
an. Noch immer brennt die grosse Halle der Tela, wenn auch nicht mehr
mit der gleichen Intensität wie in der Nacht. Mit dem Tageslicht wird nun
die Verwüstung sichtbar, welche das Feuer angerichtet hat. Die Produktionshalle
ist komplett ausgebrannt, zwei Drittel des Daches sind eingestürzt.
Eisenträger, von der Hitze verbogen, hängen in der Luft. Ein vor
nicht langer Zeit entstandener Anbau mit Speditionsrampen sieht aus wie
eine irrwitzige Skulptur: Die Metallteile der Aussenwände sind von der
Glut deformiert worden und ragen jetzt gewellt, geknickt und gebläht gegen
aussen. Alle andern Gebäude der Fabrik stehen unversehrt. Sie sind
verschont geblieben, zum Teil jedoch nur dank dem Einsatz der Feuerwehren.
Der Tela-Brand ist vollends zum Medienereignis geworden. Radio, Fernsehen
und Tageszeitungen berichten in der Samstagausgabe bereits breit
über die Katastrophe.
Die brennende Fabrikhalle bewirkt, dass die Luft verschmutzt wird. Die
ganze Nacht über sind die Luftmessungen fortgesetzt worden. Jetzt mes-
sen Spezialisten nochmals die Luft und analysieren den Brandschutt. Nach
7 Uhr geht eine Mitteilung über das lokale Radio 32, später auch per Lautsprecherwagen
ins Dorf. Die Bevölkerung soll Fenster und Türen schliessen,
damit die Schadstoffe im Rauch nicht eingeatmet werden. Um 7.30
Uhr treffen die Soldaten der Rettungskompanie ein. Wenig später steht
die Feuerwehr Herzogenbuchsee, die in der Nacht abgelöst worden ist,
wieder im Einsatz.
Kurz nach 8 Uhr finden Feuerwehrleute den ersten Toten. Es sind die
sterblichen Überreste von Ulrich Greub. Von seinen toten Kollegen keine
Spur. Um 8.30 Uhr werden die Heli-Flüge unterbrochen, damit die Leiche
geborgen werden kann. Mit gesenkten Köpfen tragen Feuerwehrleute
den Toten weg, auf einer Bahre, zugedeckt mit einer Wolldecke – ein bedrückender
Moment. Die Frage bleibt: Wo liegen Rolf Märki und Andreas
Übersax? Und warum waren die drei nicht mehr zusammen? Niemand
würde an diesem Samstag morgen glauben, dass die zwei andern Leichen
erst drei Tage später gefunden werden sollten.
Die Löscharbeiten gehen weiter. Die Helis nehmen die Löschflüge wieder
auf. Es geht dabei vor allem darum, die Brandherde zu kühlen. Das Problem
des Wassermangels ist nach wie vor akut. Über Radio 32 werden
gegen 10 Uhr die Menschen der umliegenden Gemeinden aufgefordert,
Wasser zu sparen. Um 14 Uhr findet die zweite Medien-Orientierung
statt. Nun ist die Zuhörerschar ungleich grösser als am Freitag nachmittag.
Eine stattliche Anzahl Journalisten, Radioreporter und Fernsehleute
ist anwesend. Es wird breit orientiert, und Fragen werden beantwortet.
Auskunft geben unter anderem Regierungsstatthalter Martin Sommer,
Einsatzleiter Christian Ruch, Willy Knecht vom Dezernat Brände und Explosionen
der Kantonspolizei sowie Attisholz-Chef Helmuth Elkuch. Der
Fabrikationsstandort Niederbipp werde beibehalten und die Fabrikationshalle
am gleichen Standort wieder aufgebaut, sagt Elkuch über die Zukunft
der Tela. Den Schaden schätzt er auf 130 bis 150 Millionen Franken.
Und Elkuch setzt ein ehrgeiziges Ziel, das zu diesem Zeitpunkt fast
vermessen tönt: In einem Jahr solle die Tela in Niederbipp wieder voll in
Betrieb sein.
Nach dem ersten Tag des Brandes ist den Leuten, die im Einsatz stehen,
die aussergewöhnliche Situation anzumerken. Nicht nur das Schicksal der
drei vermissten Feuerwehrleute hat die Helfer tief berührt, auch der Brand
ist selbst für die Profis auf dem Platz nicht ein Fall wie andere. Hansueli
Zürcher, Pikettoffizier der Berner Berufsfeuerwehr, zum Beispiel sagt am
Samstag: «Wir sind alle überfordert gewesen vom Ausmass des Brandes
und der Hitze, die sich dabei entwickelte.» Und manch anderer bestätigt,
dass er ein solches Ereignis noch nie erlebt habe.

Brand unter Kontrolle
Weil das Feuer auch jetzt noch weiterbrennt, werden die im Einsatz stehenden
Feuerwehren laufend ausgewechselt. Weitere Wehren müssen
aufgeboten werden, zum Teil ist es für sie bereits das zweite Aufgebot
nach Niederbipp. Gegen Abend treffen 12 Tonnen Schaumextrakt
aus
Zürich ein. Anschliessend wird auf der Westseite der Halle Schaum eingesetzt.
Schon früher ist dies versucht worden, jedoch erfolglos. Gescheitert
ist es einerseits an Wassermangel für den Schaum, andererseits
hat die grosse Hitze den Einsatz unmöglich gemacht. Um bessere Zugänge
zur brennenden Halle zu haben, werden am abend Baumaschinen eingesetzt,
die tagsüber eingetroffen sind. Soldaten durchschlagen die Hausmauer
mit Presslufthämmern für den Einsatz von Wasserwerfern und für
den Durchlass von Löschschläuchen. In der Nacht dringen die Feuerwehrleute
mehr und mehr in die Halle vor, um das Feuer zu löschen.
Am Sonntag morgen um 4.50 Uhr ist der Brand unter Kontrolle. Noch
schwelen aber an verschiedenen Stellen Glutnester weiter. Daraus
brechen ab und zu wieder Flammen hervor und müssen gelöscht werden.

Kritische Stimmen
Die Sonntagszeitungen berichten in grossen Reportagen über den Tela-
Brand. Besonders kritisch gibt sich die «Sonntags Zeitung». Die Einsatzleitung
wird kritisiert, und Personen werden zitiert, welche den Einsatz
der Atemschutztrupps in Frage stellen. Es wird sogar berichtet, zwei
Trupps hätten sich geweigert, in den Keller zu steigen, worauf der Trupp
Märki gegangen sei. Der «SonntagsBlick» schreibt, die drei Männer aus
Herzogenbuchsee seien «im Flammenmeer» und «im Feuerinferno» umgekommen.
Am Vormittag finden sich immer mehr Gaffer rund ums Tela-
Gelände ein. Wieder stehen Schaulustige auf den Geleisen der SBB. Ge-
gen Mittag wird die Absperrung verstärkt. Die Kantonspolizei erhält dabei
Unterstützung durch den Zivilschutz Langenthal. Am Nachmittag ist
das ganze Fabrikgelände abgesperrt und für Unberechtigte nicht mehr
zugänglich. Die wartenden Medienleute müssen sich lange gedulden, bis
sie Informationen erhalten. Nur geführt und in Begleitung von Polizeibeamten
dürfen sie das Tela-Gelände betreten.
Die zwei noch vermissten Feuerwehrleute sind noch immer nicht gefunden
worden. Gegen 13 Uhr betreten Männer des Dezernates Brände und
Explosionen der Kantonspolizei mit drei Katastrophen-Hundeführern das
verbrannte Gebäude und nehmen die Suche nach ihnen auf. Diese Arbeit
ist wegen der Gase im Keller nur mit Atemschutzmasken möglich und
deshalb langwierig. Gegen 17 Uhr muss die Suche aus Sicherheitsgründen
abgebrochen werden. Es besteht die Gefahr, dass die Decke des Kellers,
vom Brand geschwächt, einstürzt. Deshalb sind auch Stützen angefordert
worden. Es gibt immer noch Glutnester in der Halle, die aufflackern
und gelöscht werden müssen. Wie schon seit Freitag abend
wechseln sich auch am Sonntag die Feuerwehren immer wieder ab. Auch
das Kommando auf dem Schadenplatz wird nun von einer Feuerwehr auf
die nächste übertragen. Die ganze Nacht hindurch wird überwacht, gesichert
und gelöscht.

Opfer gefunden
Am Montag ist der Brand im grossen und ganzen gelöscht, aber weiterhin
gibt es Glutnester. Die Überwachungs- und Löscharbeiten gehen weiter.
Rolf Märki und Andreas Übersax sind noch immer nicht gefunden.
Wiederum sind viele Schaulustige und auch Journalisten vor Ort. Immer
wieder treffen neue Detachemente von Feuerwehren aus der näheren
und weiteren Umgebung ein und lösen die im Einsatz stehenden Männer
ab. Nach und nach wird die Betondecke der Fabrikhalle abgestützt, damit
der Kellerraum ohne Gefährdung betreten werden kann. In der Nacht
auf Dienstag werden die Anstrengungen zur Bergung der zwei Toten verstärkt.
Kurz vor 5 Uhr morgens gibt ein zugezogener Statik-Ingenieur den
Kellerraum zur Untersuchung frei. Rund eine halbe Stunde später entdecken
die Suchtrupps die beiden Leichen, die dicht nebeneinander liegen,
etwa 30 Meter entfernt von der Stelle, wo Ulrich Greub gefunden

Ein Super-Puma der Armee entleert seine Wasserladung über der zerstörten Halle.
Auch ein Löschzug der SBB (unten links) ist im Einsatz.

An der Pressekonferenz von Medienleuten umringt (von rechts): Statthalter
Martin Sommer, Gesamteinsatzleiter Christian Ruch, Kurt Zemp, Vizegemeindepräsident
von Niederbipp, Feuerwehrinspektor Edgar Müller, Christian Egli,
Bezirkschef der Kantonspolizei, und Gerichtspräsident Roland Richner.

worden ist. Wie schon Greub, haben sich auch Märki und Übersax ihrer
Atemschutzmasken entledigt. Die drei Leichen weisen starke Verbrennungen
auf, die nach dem Tod erfolgt sein müssen. Die spätere Untersuchung
der Körper zeigt trotzdem, dass Verletzungen – zum Beispiel durch
einstürzende Mauern oder herabfallende Deckenteile – ausgeschlossen
werden können.
Noch bis am Mittwoch stehen auswärtige Feuerwehren auf dem Tela-
Gelände im Einsatz, vor allem zur Sicherung und Überwachung der ausgebrannten
Fabrikhalle. Am Mittwoch, 24. Juli 1996, um 18 Uhr findet
der Schlussrapport des Bezirksführungsstabes statt. Und um 18.15 Uhr
geht das Schadenplatzkommando an die Betriebsfeuerwehr der Tela über.
Nach fünf Tagen und rund sechs Stunden hat sich der Kreis damit geschlossen.
Der Tela-Brand ist vorbei, ein Ereignis, das in der Feuerwehr-
Geschichte der Schweiz kaum Parallelen kennt. Insgesamt sind 1617 Personen
im Einsatz gestanden, davon 1266 Feuerwehrleute. Die Brandbekämpfung
hat rund 1 Million Franken gekostet. Der gesamte Brandschaden
beläuft sich auf rund 200 Millionen Franken.

Tela produziert weiter
Am Freitag, 19. Juli, kurz nach der Brandmeldung, ist die Produktion in
der Tela Niederbipp unterbrochen worden. Das Tela-Management will die
Belegschaft – rund 350 Personen – jedoch rasch wieder beschäftigen. Zugleich
soll der Produktionsausfall möglichst gut aufgefangen werden.
Deshalb treten die Angestellten bereits am Montag wieder zur Arbeit an,
zu einer Zeit also, da in der Produktionshalle noch Glutnester schwelen
und ein Ende des Feuerwehreinsatzes nicht abzusehen ist. Die Frühschicht
der Tela beginnt um 5 Uhr morgens. Im Werk Niederbipp sind nur wenige
Personen mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Ein Teil der Angestellten
arbeitet im Werk Balsthal, ein weiterer Teil im Schwesterwerk Hakle in Reichenbach
SZ. Dorthin werden die Leute mit Bussen gebracht und nach
der Schicht wieder nach Niederbipp gefahren. Eine Gruppe wird gar im
Hakle-Werk in Mainz, Deutschland, eingesetzt. Diese Angestellten kommen
jeweils erst am Wochenende zurück an ihren Wohnort. Damit weiter
produziert werden kann und nicht zu viele Kunden verloren gehen,
wird in Balsthal und Reichenbach statt in zwei oder drei jetzt in vier
Schichten
gearbeitet. Wenige Tage nach dem Brand wird die unbeschädigte
Papiermaschine in Niederbipp wieder eingesetzt. Und einige Wochen
später werden zugekaufte Maschinen für die Herstellung von Fertigprodukten
in leerstehenden Hallen der Von Roll in der Klus Balsthal
installiert und in Betrieb genommen. So versucht die Tela, mit ihren Produkten
auf dem Markt zu bleiben.

Trauer in Herzogenbuchsee
Am 31. Juli, 12 Tage nach dem Brandausbruch, trauert Herzogenbuchsee
um die drei Toten. Die Trauerfeier für Andreas Übersax, Ulrich Greub und
Rolf Märki findet in der reformierten Kirche statt. Die rund 600 Plätze in
der Kirche reichen jedoch nicht aus, um alle Trauergäste aufzunehmen.
Die Abdankung wird mit Lautsprechern ins Freie übertragen, wo viele
Leute stehen oder auf Bänken sitzen. Delegationen von Feuerwehren aus
dem ganzen Kanton sind gekommen, zum Teil in Uniform. Es herrscht
eine ungewöhnlich bedrückte Atmosphäre in und vor der Kirche an diesem
Mittwoch vormittag. Gestaltet wird der Abdankungsgottesdienst von
einem Team mit der Pfarrerin Brigitte Siegenthaler, den Pfarrern Werner
Steube und Rolf Schneeberger, alle aus Herzogenbuchsee, sowie Pfarrer
Hansueli Ryser aus Bannwil, wo die Eltern von Ulrich Greub wohnen und
ihr Sohn begraben wird. Die Pfarrleute schauen nochmals zurück auf das
Leben der drei jungen Menschen. Beileidsworte spricht Regierungsrätin
Elisabeth Zölch. Die Männer hätten ihr Leben bei ihrem Einsatz für die Öffentlichkeit
verloren, sagt sie. «Diese Dienstleistung am Nächsten braucht
Menschen, die verantwortungsbewusst, besonnen und mutig zugleich
ihre Aufgabe erfüllen. Die drei Verstorbenen bleiben als solche Menschen
in Erinnerung.» Auch der Buchser Gemeindepräsident Fred Lüthi ergreift
das Wort. Es sei tragisch, dass die drei ihre Hilfeleistung mit dem Tod bezahlt
hätten, sagt er, sichtlich bewegt. «Sie haben sich nicht gedrückt, sie
haben gehandelt. Sie sind uns ein Vorbild», so Lüthi. Die Trauerfeier wird
musikalisch vom Chor der Feuerwehrkommandanten umrahmt.

Die Untersuchung
Nach dem Brandausbruch ist ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren
eröffnet worden – eine routinemässige Angelegenheit, die bei jedem
grösseren Brand erfolgt. Die Untersuchung wird von Fritz Aebi geleitet. Er
ist eigentlich Gerichtspräsident im Schloss Wangen, doch hat er die Aufgabe
übernommen, weil der Untersuchungsrichter zur Zeit des Brandes
in den Ferien weilt. Abgeklärt werden die Brandursache und die Todesursache
der Verunglückten sowie die Frage, ob beim Einsatz des Atemschutztrupps
Märki die Sorgfaltspflicht verletzt worden ist. Erste Anzeichen
der Brandursache sind von den Polizei-Experten vom Dezernat
Brände und Explosionen bereits am Dienstag, 23. Juli 1996, festgestellt
worden. Kurz darauf steht die Ursache fest: Eine Isolationsverletzung bei
einem Steuerschrank hat zu einem Fehlerstrom geführt. Bei dem dadurch
entstehenden Lichtbogenfeuer sind Glutpartikel direkt in glimmfähige

Die zerstörte Halle der Tela nach dem Brand.

pierprodukte gelangt. Schon in der Nacht auf den Freitag hat dies zu einem
stundenlangen Glimmbrand geführt, der dann kurz nach 11.30 Uhr
offen ausbrach. Vermutet wird, dass der Isolationsschaden am Kabelstrang
durch einen Hebevorgang mit den Roboter-Hubstaplern hervorgerufen
worden ist.
Bedeutend länger dauert es, bis die ganze gerichtliche Untersuchung abgeschlossen
ist. Kritische Fragen sind in den Medien schon während des
Brandes gestellt worden, und in den Tagen danach werden sie immer wieder
aufgeworfen: War der Atemschutz-Einsatz nötig, sinnvoll, der Situation
angepasst? Sind die Atemschutzmasken sicher genug? Erhalten die
Feuerwehrleute genügend Ausbildung für solche Einsätze wie in der Tela?
Es gibt Stimmen aus Feuerwehrkreisen, welche das Vorgehen auf dem
Brandplatz in der Tela in Frage stellen. Doch von den meisten Sachverständigen
und von den beim Brand beteiligten Verantwortlichen wird der
Einsatz immer verteidigt und als richtig eingestuft.

Erkenntnisse, Folgerungen, Thesen
Als Richter Fritz Aebi am 17. Januar 1997 im «Räberhus» in Niederbipp
vor den Medienvertretern das Ergebnis der Untersuchung bekannt gibt,
kommt er zum gleichen Schluss: Es werden keine Anklagen gegen Verantwortliche
des Einsatzes erhoben. Anzeichen für ein Fehlverhalten beim
Einsatz – sowohl vom Einsatzleiter als auch von Truppchef Rolf Märki –
gebe es keine, sagt Aebi. Es sei auch niemand gegen seinen Willen zu einem
Einsatz gezwungen worden, stellt er klar. Die Untersuchung hat ergeben,
dass die drei Feuerwehrleute durch Rauchgasvergiftung gestorben
sind. Dies offensichtlich, weil sie sich infolge Luftknappheit ihrer Atemschutzmasken
entledigt haben. Warum es zu dieser Luftknappheit gekommen
ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Es gibt zwei Varianten:
1. zu lange Aufenthaltszeit im Keller, vielleicht hervorgerufen durch einen
Unfall;
2. hitzebedingte Havarie an den Atemschutzgeräten, wodurch die Pressluft
ausgeströmt ist und der Vorrat zu früh aufgebraucht war.
Bei diesen Hypothesen hat es Fritz Aebi aber nicht bewenden lassen. Die
von den verunglückten Feuerwehrleuten getragenen Atemschutzgeräte
sind untersucht worden, obwohl sie durch das Feuer stark beeinträchtigt
waren. Bei allen drei Ventilblöcken (Druckreduzierung) sind undichte
Punkte festgestellt worden, die zu einem Ausströmen der Pressluft geführt
haben könnten. Doch es lässt sich nicht sagen, wann die Undichtheiten
eingetreten sind und in welchem Zustand sich die Geräte zum Zeitpunkt
des Todes der drei Männer befunden haben. Ein schlüssiger
Beweis für das Versagen der Dichtungen könne nicht erbracht werden,
heisst es im Untersuchungsbericht. Doch kann auch nicht bewiesen
werden, dass die Geräte nicht versagt haben. Aebi hat bei der Eidgenössischen
Materialprüfungsanstalt Empa Laborversuche durchführen lassen,
um Erkenntnisse zu erhalten, unter welchen Bedingungen die Atemschutzgeräte
den Dienst versagen. Die Vergleichsgeräte arbeiteten noch
deutlich über der Temperaturlimite der Europa-Norm von 60 Grad
störungsfrei.
Noch höhere Temperaturen aber führten zu Defekten, welche
Fragezeichen aufwarfen. So heisst es im Bericht: «Bei Versuchen mit
150 Grad Celsius Umgebungstemperatur trat jeweils nach unterschiedlich
langen Zeiten ab ca. 80 Grad (am Gerät gemessen) eine Undichtheit im
Bereich der Ventilblöcke auf, so dass durch diese Leckage die Atemluft
aus der Flasche innerhalb von zwei bis drei Minuten vollständig entweichen
konnte. Ab einer gewissen Gerätetemperatur scheinen also zuallererst
bei den Dichtungen Probleme aufzutreten.» Welche Temperaturen
beim Einsatz des Trupps Märki herrschten, muss die Untersuchung offenlassen.
Im Laborversuch schmolzen bei 200 Grad die Feuerwehrhelme
und die Gesichtsvisiere der Masken schon nach wenigen Minuten. Dies
zeige, dass man nicht von solchen Temperaturen ausgehen könne. Obwohl
also nicht geklärt werden konnte, ob die Atemschutzmasken von
Übersax, Märki und Greub im Tela-Keller undicht wurden, rät Richter Fritz
Aebi in seinem Schlussbericht, die Masken weiter zu testen: «Die Frage
der Temperaturbeständigkeit der Feuerwehrausrüstungen scheint derzeit
ein Thema bei den Normierungsgremien der Feuerwehren in ganz Europa
zu sein. Durch geeignete Tests ist von den zuständigen Feuerwehr-
Dachorganisationen
und Normierungsgremien abzuklären, ob die gültigen
Werte angesichts der Feststellungen bei den Labortests noch
realistisch sind.»

Eingesetztes Personal und Material
Feuerwehren Personen
Kanton Bern
Aarwangen 20
Attiswil 21
Bannwil 11
Bettenhausen/Bollodingen 30
Burgdorf 17
Herzogenbuchsee 54
Huttwil 20
Kirchberg 20
Langenthal 72
Lotzwil 16
Münchenbuchsee 20
Niederbipp 150
Niederönz 33
Oberbipp 30
Riedtwil 35
Roggwil 37
Rumisberg 30
Seeberg 30
Tela Betriebsfeuerwehr 20
Thunstetten-Bützberg 7
Wangen an der Aare 50
Wiedlisbach 30
Wolfisberg/Farnern 29
Kanton Aargau
Zofingen, Oftringen, Rothrist,
Strengelbach, Betriebsfeuerwehr
Siegfried AG 64
Kanton Solothurn
Attisholz, Balsthal, Bellach,
Berna AG Olten, Coop Wangen
b. Olten, Boningen, Dulliken,
Grenchen, Kappel, Langendorf,
Lüsslingen-Nennigkofen,
Obergösgen, Oensingen, Olten, Rickenbach,
Schönenwerd,
Solothurn, Trimbach, Zuchwil 307
Feuerwehren Personen
Kanton Zürich
Kloten, Wiedikon, Winterthur 24
Berufsfeuerwehren
Bern 24
Basel 10
Sandoz Basel 8
SBB Lösch- und Rettungszüge
Betriebswehr Bahnhof Biel 12
Betriebswehr Bahnhof Olten 15
Total Feuerwehren 1266
Weitere Organisationen
Armee 174
Zivilschutz 113
Samariter/Sanitätsdienst 19
Kantonspolizei Bern 17
Gesamt-Total 1617
Material Anzahl
Tanklöschfahrzeuge 19
Autodrehleitern 3
Chemiewehrfahrzeuge 2
Motorspritzen 8
Schaumfahrzeuge 2
Wasserwerfer 5
Hochleistungslüfter 6
Wärmebildkameras 2
Löschzüge SBB 2
Ambulanzen 4
Lösch- und Rettungshelikopter 7

Unfall-Szenarien
Willy Knecht, Leiter des Dezernates Brände und Explosionen der Kantonspolizei,
gibt an der Pressekonferenz zur Untersuchung des Tela-Brandes
seine These bekannt, wie es zum Unfall der drei Feuerwehrleute gekommen
sein könnte. Als «eher unwahrscheinlich» stuft Knecht die
These eines Flammenschlages, hervorgerufen durch eine Verpuffung von
Dämpfen oder Gasen, ein. Gegen diese These spreche die eingehende Begutachtung
der Brennbarkeit des gesamten Lagergutes.
Als «wahrscheinlicher und mit dem Spurenbild in Einklang zu bringen»
nennt Willy Knecht das folgende Unfallszenario: «Der Trupp Märki kam
im raucherfüllten Untergeschoss nur langsam vorwärts und gelangte in
den Bereich der Lagerung von Faltkartons. Fest steht, dass der hintere
Raumabschnitt unter anderem der Lagerung von leeren, zusammengefalteten
und mittels Plastikbändern fixierten Verpackungsboxen aus Karton
gedient hatte. Die Lagerung war mindestens zweischichtig. Diese Lagerart
war im Betrieb als teilweise instabil bekannt. Die Fixierbänder dürften
durch die ansteigende Hitze direkt betroffen und zerstört worden sein.

Die zerstörte Produktionshalle wird abgerissen.

Dadurch wurden die zuvor bestandene Druckspannung gelockert und die
Lagereinheiten zum Absturz gebracht. Dabei dürfte es zum lawinenartigen
Abrutschen des Kartons und der Holzpaletten gekommen sein. Der
Rückweg nach dem quittierten Funkspruch ‹Wir kommen zurück› wurde
versperrt, und Rolf Märki kam dabei rücklings auf einen abgerutschten
Palettrahmen zu liegen. Andreas Übersax versuchte ihm zu helfen,
während
Ulrich Greub Hilfe holen ging. Bedingt durch die beim Abrutschen
des Kartons entstandene Extremsituation geriet Ulrich Greub vermutlich
in eine um 90 Grad falsche Richtung und trennte sich so von seinen
Kollegen. Weshalb, muss offen bleiben. Alle drei Feuerwehrleute
wurden vermutlich durch eine plötzlich aufgetretene Luftknappheit im
Atemschutzgerät überrascht und entledigten sich ihrer Schutzmasken
und Helme.»
Es gibt aber auch andere Thesen darüber, was im Lagerkeller der Tela geschehen
sein könnte. Hans Märki, der Vater des verunglückten Rolf Märki,
war früher bei der Feuerwehr Herzogenbuchsee selbst beim Atemschutz.
Er führt die Unfallursache einzig auf Mängel an den Atemschutzgeräten
zurück. Die drei Männer seien umgekommen, weil die
Pressluft in den Geräten verbraucht war, ohne dass das Warnsignal ertönte,
sagt Märki. «In einem geschlossenen Raum gibt es nicht nur Strahlungswärme
vom Brandherd aus, sondern es entsteht Umgebungswärme.
So schützt der Körper das Atemschutzgerät nicht mehr.» Hans Märki
glaubt, die Geräte der drei seien bei einer bestimmten Temperatur leck
geworden, wodurch die Luft rasch ausgeströmt sei. Deshalb hätten sie die
Masken vom Gesicht gerissen und seien erstickt.

Mehr Sicherheit
Um die Sicherheit der Atemschutzgeräte entbrennt in den Medien denn
auch eine Diskussion, insbesondere weil es unterschiedliche Geräte gibt,
die nach unterschiedlichen Normen (EU-Norm und US-Norm) geprüft
werden. Es gibt Feuerwehren, die nach dem Tela-Brand ihre Atemschutzgeräte
ersetzen. Die Wehrdienste Herzogenbuchsee jedoch bleiben bei
ihren Masken mit EU-Norm, welche auch von den Opfern des Tela-Bran-
des getragen wurden. Immerhin: Im Gefolge des Tela-Brandes wird eini-
ges getan, um die Sicherheit der Atemschutz-Trupps zu erhöhen. So wer-
den die Trainings der Atemschutz-Leute verbessert und intensiviert. Zudem
schaffen die Wehrdienste in mehreren Kantonen der Schweiz – darunter
im Kanton Bern – Personenwarngeräte an, welche für die Atemschutz-
Trupps bestimmt sind. Das Gerät gibt einen durchdringenden Ton
von sich, sobald sich der Feuerwehrmann 20 Sekunden lang nicht bewegt
oder wenn die Temperatur während rund 4 Minuten 150 Grad überschreitet.
Tests dieser Geräte gab es schon vor dem Tela-Brand, doch beschleunigt
dieser die Anschaffung in den Wehrdiensten. Kritiker dieser
Personenwarngeräte bemängeln allerdings, die Feuerwehrleute könnten
sich in falscher Sicherheit wiegen, und sie bezweifeln, ob die Geräte die
Todesfälle beim Tela-Brand hätten verhindern können.
Eine weitere Sicherheitsmassnahme: Die Männer der Atemschutztrupps
müssen sich beim Einsatz immer mit einem Seil verbinden. Dies war vor
dem Tela-Brand nicht immer der Fall. Oft hatten die Trupps aber gemeinsam
den Wasserschlauch mitgezogen. Und die Feuerwehr Herzogenbuchsee
führt intern für den Atemschutz eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer
in geschlossenen Räumen ein.

Zu grosse Belastung?
Am 19. Februar 1997 lässt eine Meldung aufhorchen und Schlimmes erahnen:
Christian Ruch, der «bekannteste Feuerwehrmann der Schweiz»,
wie der «Blick» schreibt, Einsatzleiter beim Tela-Brand, ist verschwunden.
Zu einem Stabsrapport der Feuerwehr ist er nicht erschienen. Darauf
suchen ihn seine Feuerwehrkameraden. Bald wird ein Brief gefunden,
in dem Ruch von Problemen im Geschäft spricht. In Langenthal führt
Christian
Ruch seine eigene Ofenbau-Firma, einen Kleinbetrieb mit sieben
Angestellten. Bald sickert durch, dass der Betrieb vor dem Konkurs steht.
Erst nach zwei Tagen findet ein Passant die Leiche von Ruch in einem
Wald bei Madiswil: Suizid. Die finanzielle Situation des Geschäftes und
der Druck der Banken wegen der Verschuldung ist der Hauptgrund für
den Freitod Ruchs. Doch ist nicht auszuschliessen, dass beim Feuerwehrkommandant
von Langenthal auch die Ereignisse in der Tela mitgespielt
haben. Der Grossbrand hat Christian Ruch stark belastet, wie er kurz nach
dem Brand eingesteht. «Ich habe es noch nicht verarbeitet, und 100prozentig
werde ich es wohl auch nicht verarbeiten», sagt Ruch in einem Zei-
tungsinterview im August 1996. Durch seine Auftritte im Fernsehen ist er
bekannt geworden. Diese Bekanntheit sei für ihn eine Belastung, bekennt
er, «denn ich bin eigentlich auf eine traurige Art bekannt geworden».
Auch später muss Ruch immer wieder Auskunft geben, so zum Beispiel
im Zusammenhang mit der Diskussion um die Atemschutzgeräte. Zeitweise
könne er sich kaum noch ums Geschäft kümmern, klagt Ruch. Den
Konkurs vor sich zu haben war für ihn das eine. Aber dies wegen seiner
Bekanntheit in allen Medien breit vermeldet und kommentiert zu wissen,
davor hat sich Christian Ruch wohl ebenso gefürchtet.

Einfluss auf neues Gesetz
Schon vor dem Brand in der Tela haben im Kanton Bern die Vorarbeiten
für ein neues Gesetz begonnen. Das geltende «Gesetz für Gesamtverteidigung
und Katastrophenhilfe» soll abgelöst werden durch das «Gesetz
für ausserordentliche Lagen». Die Stossrichtung für das neue Gesetz ist
bereits festgelegt, es sind weitreichende Änderungen vorgesehen. So sollen
die Bezirksführungsstäbe aufgelöst und durch einen professionalisierten
kantonalen Führungsstab ersetzt werden. Dieser würde bei grösseren
Schadenereignissen in das betroffene Gebiet einrücken und die Führung
vor Ort übernehmen. Nach dem Sommer 1996 wird dieses Konzept aber
hinterfragt. Die Erkenntnisse aus dem Tela-Brand fliessen nun ins neue
Gesetz ein und bewirken eine Abkehr von den zentralisierten Führungsstrukturen.
Es wird befürchtet, dass einem von Bern angereisten Krisenstab
weniger Vertrauen entgegengebracht würde als einheimischen Personen
und die Autorität deshalb beeinträchtigt sein könnte. Als Nachteil
angesehen werden auch fehlende Ortskenntnisse. Ein Bezirksführungsstab
ist mit den örtlichen Gegebenheiten besser vertraut, kennt die verantwortlichen
Personen für die Schadensbekämpfung sowie die logistischen
Ressourcen im Gebiet. Deshalb erhalten die Bezirksführungsstäbe
im neuen Gesetz für ausserordentliche Lagen eine starke Stellung, und
von der Idee eines mobilen Stabes des Kantons wird abgesehen. Das Gesetz
tritt am 1. Januar 1999 in Kraft.
Auf der Stufe Gemeinde ist der Tela-Brand Auslöser für eine stärkere Zusammenarbeit
im Bereich öffentliche Sicherheit. Man strebt bessere Strukturen
an, die einsatztauglich sind. Dazu wird über Zusammenarbeit in
nerhalb der Feuerwehren und des Zivilschutzes diskutiert. Man beginnt,
die Bestände anzupassen, legt Zivilschutz-Organisationen zusammen und
koordiniert die Ausbildung und die Anschaffung von Material.

Wiederaufbau
Die Tela in Niederbipp solle in einem Jahr wieder voll in Betrieb sein, hat
Helmuth Elkuch, Chef der Attisholz Holding, am Tag nach dem Brandausbruch
erklärt. Damals brennt noch das Feuer in der Produktionshalle
und die Hubschrauber fliegen Löscheinsätze. Doch schon bald zeigt sich,
dass Elkuchs Zielsetzung nicht leere Worte sind. Nach dem Brand werden
zuerst Untersuchungen und Inventaraufnahmen durchgeführt sowie Planungen
im Hinblick auf den Wiederaufbau gemacht. Dies dauert rund einen
Monat. Am 21. August beginnt auf dem Tela-Areal der Abbruch der
alten Fabrikhalle. Mit Ausnahme der Wochenenden wird im 24-Stunden-
Betrieb gearbeitet. Bereits am 26. August wird das Baugesuch fürs neue
Werk eingereicht. Das Projekt ist aber schon vorher von der Bauherrin und
den Behörden vorgespurt worden. Damit das Baubewilligungsverfahren
möglichst rasch durchgezogen werden kann, sind mögliche Einsprecher,
zum Beispiel der Naturschutzverein Oberaargau, zu diesen Gesprächen
mit eingeladen worden. Am runden Tisch haben sich die verschiedenen
Parteien auf das Projekt geeinigt. Die 30-tägige Einsprachefrist verstreicht
denn auch ungenutzt. Nur gerade 37 Tage nachdem das Baugesuch eingereicht
worden ist, erteilt Regierungsstatthalter Martin Sommer die Baubewilligung
– ein Rekord, der seinesgleichen sucht. Möglich geworden ist
dies einerseits durch die Koordination des Statthalters, andererseits weil
Gemeinde- und Kantonsbehörden in ungewöhnlich kurzer Zeit gehandelt
haben und die sonst üblichen Fristen nicht ausgeschöpft worden sind.
Für den Neubau der Papierverarbeitung kann die Tela auf vorhandene Planungsgrundlagen
zurückgreifen. Zwischen Herbst 1995 und Frühling
1996 ist nämlich ein Masterplan ausgearbeitet worden, der vorbehaltene
Entschlüsse für die Zukunft enthält. Darin wird der künftige Materialbedarf
eruiert, eine verbesserte Betriebsorganisation in der bestehenden
Produktionshalle ausgearbeitet sowie der Neubau eines Produktionsbetriebes
bis ins Jahr 2005 vorgesehen. Diese Arbeiten erlauben es der Tela,
nach dem Brand rasch zu handeln. Die Gesamtplanung für den Wieder-
aufbau wird der Firma Emch + Berger übertragen, die 30 Jahre zuvor das
Tragwerk der nun zerstörten Fabrik projektiert hatte.
Anfangs Oktober 1996 beginnen die Bauarbeiten mit Hochdruck. Das
Spezielle ist, dass bereits gebaut wird, bevor überhaupt alle Detailpläne für
die geplanten Hallen erstellt sind. Es wird also zugleich gebaut und geplant.
Das Tela-Gelände wird in der Folge zur grössten Baustelle der
Schweiz. Zeitweise arbeiten 160 Personen aus 45 Firmen dort, pro Woche
werden rund 2,5 Millionen Franken verbaut. Gearbeitet wird in der
Regel von 4 Uhr morgens bis um Mitternacht, wobei der grösste Teil der
Arbeiter die Baustelle um 18 Uhr verlässt. Es entstehen vier modulartig
gebaute Hallen, eine geplante fünfte gilt als Reserve, die später erstellt
werden könnte. Die Hallen sind Stahlskelett-Konstruktionen, jede ist 90
Meter lang, 66 Meter breit und 16 Meter hoch. Unterirdisch sind sie durch
einen grossen Gang miteinander verbunden. Dass nicht ein grosses Gebäude
ensteht, sondern vier getrennte Hallen gebaut werden, ist die Folge
des Brandes der alten Produktionshalle. Durch die Trennung der Neubau-
Module soll bei einem allfälligen Brandausbruch ein Ausbreiten des
Feuers verhindert werden. Während der Bauzeit verkündet eine Leuchtschrift
beim Eingang der Tela das ehrgeizige Ziel: «Einweihung: 30. Mai
1997, Tag der offenen Tür: 31. Mai 1997.»
Die erste Halle ist anfangs Dezember fertiggestellt, und am 11. Dezember
laufen darin erstmals Papierservietten aus den eilends installierten
Maschinen. Am 20. Dezember versammelt sich die Belegschaft der Tela in
der neuen Halle zur Weihnachtsfeier. Auch im Winter wird mit Hochdruck
weitergebaut. Nach und nach werden die andern drei Hallen fertiggestellt.
Und genau am vorgesehenen Tag, am 30. Mai 1997, wird das neue
Werk in Niederbipp eingeweiht. Kosten: 130 Millionen Franken. Die Tela
selbst bezahlt gegen 30 Millionen Franken, den Rest berappen die Versicherungen.
Noch ist am Eröffnungstag nicht die gesamte Produktion installiert,
aber ein grosser Teil der hochmodernen Maschinen ist in Betrieb:
Voll automatisiert laufen die Toilettenpapier-Rollen über die Förderbänder,
und durch die Lagerräume fahren kleine Transportwagen wie von Geisterhand
gesteuert. Und all das nur etwas mehr als zehn Monate nach
dem verheerenden Grossbrand.
Eine eigentliche Einweihungsfeier findet jedoch nicht statt. In Anbetracht
der tragischen Ereignisse beim Brand gebe es keinen Grund zu feiern,
sagt Tela-Geschäftsführer Christof Zuber. «Wir sind froh und dankbar

Das neue Werk der Tela in Niederbipp

über das neue Werk, aber wir wollen es schlicht einweihen.» So steht im
Bienkensaal in Oensingen einzig eine Begrüssung mit kurzen Reden auf
dem Programm, gefolgt von einer Führung durchs neue Werk in Niederbipp
und einem Mittagessen. Obwohl die Automation in Niederbipp sehr
viel höher ist als in der alten Fabrikationshalle, würden auch mit dem neuen
Werk alle 350 Mitarbeiter in Niederbipp weiterbeschäftigt werden,
lauten die Beteuerungen der Tela-Führung. Mit der gleichen Anzahl Mitarbeiter
könnten mehr Produkte hergestellt werden, stellt Christof Zuber
fest. Deshalb seien die Verkaufsanstrengungen verstärkt worden. Truls
Berg, Verwaltungsratspräsident der Attisholz Holding, erwähnt zwar, das
neue Werk sei «die modernste Papierverarbeitungsanlage der Welt».
Doch schimmert bei ihm auch eine Prise Skepsis durch: «Die schwierigste
Aufgabe kommt erst jetzt. Es muss sich zeigen, dass wir die neue Verarbeitungsanlage
auslasten und damit Geld verdienen können.»
Der grosse Abwesende bei der Werkseröffnung ist Helmuth Elkuch. Der
Vorsitzende der Attisholz Gruppenleitung und Vater des Wiederaufbaus
in Niederbipp arbeitet nicht mehr beim Konzern. Auf Ende 1996 hat Elkuch
seinen Job verlassen. Er und der Verwaltungsrat seien «in gegenseitigem
Einvernehmen» übereingekommen, sich zu trennen, heisst es Mitte
Dezember in einer dürren Pressemitteilung der Attisholz Holding. Der
wahre Grund für Elkuchs Abgang wird nie bekannt, doch hinter vorgehaltener
Hand wird gemunkelt, Elkuch habe eine zu starke Führungsrolle
erreicht und sei nicht gewillt gewesen, sich in eine Führungscrew einbinden
zu lassen. Tatsächlich ist Elkuch während des Brandes und noch Wochen
danach bei den Medien im Mittelpunkt gestanden, dies in der Rolle
des grossen Machers, der den Wiederaufbau in Niederbipp unerbittlich
vorantreibt. Ein Wiederaufbau, welcher Niederbipp zwar Arbeitsplätze
und Steuerkraft sichert, der in seinen Dimensionen letztlich aber doch zu
gross ausgefallen ist, wie sich anderthalb Jahre nach dem Neustart zeigen
wird.
Einen Tag nach der Einweihung stehen die Türen der Tela Niederbipp für
die Bevölkerung offen. Hunderte von Besuchern kommen aufs Werkgelände
und lassen sich einen Blick in die hochmoderne Anlage nicht entgehen.
Im Oktober 1998 erhält die Tela für den Wiederaufbau des Werkes
den Schweizer Logistik-Preis 98. Verliehen wird er von der
Schweizerischen Gesellschaft für Logistik. Die Prüfungskommission begründet
die Wahl des Preisträgers damit, dass die Tela den Neubau in Niederbipp
in nur zehn Monaten realisiert hat, dies unter Einhaltung des Budgets
und bei gleichzeitiger Sicherstellung der Lieferfähigkeit.

Die Gedenktafel
Am 19. Juli 1997, ein Jahr nach der Brandkatastrophe, lädt die Gemeinde
Herzogenbuchsee zu einer Gedenkfeier im Dachstock des Wehrdienstgebäudes
ein. Rund 250 Personen gedenken der drei Opfer aus der
Buchser Feuerwehr. Es herrscht eine bedrückte Stimmung, man spürt,
dass Ulrich Greub, Rolf Märki und Andreas Übersax nicht vergessen sind,
ja dass der Tod der drei Männer auch ein Jahr später noch viele bewegt
und beschäftigt. «Wir sind unseren Kameraden und den Angehörigen
diese Feier schuldig», sagt der tief bewegte Feuerwehrkommandant Andreas
Beer. «Sie sollen spüren, dass auch wir nicht zur Tagesordnung übergehen
können.» In einem Brief der Angehörigen, den Pfarrerin Brigitte
Siegenthaler verliest, heisst es, noch viele Fragen seien unbeantwortet, so
auch diejenige, wer die Verantwortung trage. Die Angehörigen danken
zudem für die Solidaritätsaktion, mit der sie durch gespendete Beiträge
unterstützt worden sind. Enthüllt wird an diesem Abend eine Gedenktafel,
welche der Gemeinderat Herzogenbuchsee in Auftrag gegeben hat,
«damit wir dieses schreckliche Ereignis nie vergessen», wie Gemeindepräsident
Fred Lüthi mahnt. Die Tafel ist ein Werk des Kunstmalers René
Bürki. Sie zeigt unter einem Kreuz mit den Namen der drei Opfer das Feuer,
das über der Fabrik zusammenschlägt. Verzweifelt recken sich Hände
in die Gluten. Am unteren Bildrand stehen machtlos die Feuerwehrleute.
Ein Frauengesicht symbolisiert die Trauer, eine Frauenfigur mit wehenden
Haaren das Leben. Die Gedenktafel erhält ihren Platz an einer Wand neben
dem Eingang im Erdgeschoss des Wehrdienstgebäudes.

100 Stellen abgebaut
Anderthalb Jahre bleibt es ruhig um die Tela. Das neue Werk in Niederbipp
läuft auf vollen Touren. Doch gibt es auch Anfangsschwierigkeiten
mit der High-Tech-Anlage. Kinderkrankheiten und Pannen bleiben nicht
aus und Produktionsabläufe müssen optimiert werden. Die Tela stellt zum
Teil auf 7-Tage-Betrieb um, damit der für die Belieferung der Kunden nötige
Ausstoss erreicht wird. Im September 1998 lanciert die Tela-Führung
ein Umstrukturierungs-Projekt, «um die Konkurrenzsituation zu sichern»,
wie die Tela-Verantwortlichen sagen. Schon damals zirkulieren betriebsintern
Gerüchte über einen Stellenabbau.
Am 9. Dezember 1998 platzt dann die Bombe: Die Tela will in Niederbipp
und Balsthal, wo 540 Angestellte arbeiten, insgesamt 100 Stellen abbauen.
Dies gibt die Geschäftsleitung der Attisholz Holding bekannt. Gerechnet
wird mit 40 bis 50 Kündigungen. Ausserdem sollen die Tela sowie
die Schwesterwerke Hakle bis Mitte 1999 aus der Attisholz-Gruppe
ausgegliedert und verkauft werden. Alice Stümke, Geschäftsführerin der
Tela seit Oktober 1998, erklärt, die Tela als mittelgrosses Unternehmen sei
strategisch falsch positioniert. Ihren Umsatz habe die Tela in den letzten
Jahren nicht steigern können, weshalb Umstrukturierungen nötig seien.
Als Hauptgrund für den Stellenabbau gibt Attisholz den steigenden Ko-
stendruck
sowie den verstärkten internationalen Wettbewerb an. Der Stellenabbau sei aber auch eine Folge des Brandes und des Wiederaufbaus,
begründen die Attisholz Holding und die Tela-Geschäftsleitung.
Jetzt laufe der Betrieb im neuen Werk gut, so dass auf die zusätzlichen
Schichten verzichtet werden könne. Damit seien nicht mehr soviele Angestellte
nötig. Allerdings soll der grössere Teil des Stellenabbaus den Verwaltungsbereich
betreffen, die Verarbeitung sei unterdurchschnittlich davon
betroffen, heisst es in der Mitteilung der Attisholz-Gruppe. In
Niederbipp ist die Stimmung nach Bekanntwerden der Hiobsbotschaft bedrückt.
Viele Leute zeigen sich enttäuscht vom grössten Arbeitgeber im
Dorf. Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer: Nur einen Tag nach
der Ankündigung des Stellenabbaus liegen bereits Angebote anderer Firmen
vor. Insgesamt werden an die 20 Stellen angeboten und später folgen
weitere.

Besitzer aus den USA
Am 30. April 1999 gibt die Attisholz Holding den Verkauf der Firmen Tela
(Schweiz) und Hakle (Deutschland/Österreich) bekannt. Neuer Besitzer ist
der US-Konzern Kimberly-Clark, weltweit die Nummer 1 bei den Hygienepapieren.
Kleenex zum Beispiel ist eine der Marken der Firma. Für Tela
und Hakle hat Kimberly-Clark 560 Millionen Franken bezahlt. Der Hauptgrund
für den Verkauf sei die fehlende Grösse von Tela und Hakle, heisst
es bei Attisholz. Zudem will Attisholz die Bereiche Zellstoffe und Hygienepapier
trennen. Der Teil Hygienepapier ist in den letzten Jahren bedeutend
rentabler als die Zellstoffe. Mit dem Verkauf von Tela und Hakle soll
bei Attisholz eine Neuausrichtung der Gruppe eingeleitet werden. Künftig
wolle man sich auf Qualitätszellstoffe wie zum Beispiel Fotopapiere
spezialisieren, heisst es.
Wie es in Niederbipp und in Balsthal weitergehen wird, weiss nach dem
Verkauf der Tela niemand genau. Weil das Werk Balsthal bedeutend älter
ist als dasjenige in Niederbipp, scheint Balsthal der gefährdetere Standort
zu sein. Doch nach dem Verkauf versichert die Tela, Kimberly-Clark werde
die Standorte Niederbipp und Balsthal sichern. Tela-Geschäftsführerin
Alice Stümke gibt sich über den Verkauf erleichtert und bezeichnet die
Tela als «kerngesundes Unternehmen», das für die Zukunft gut gerüstet
sei. Wie Kimberly-Clark einmal entscheiden wird, steht im Herbst 1999 in
den Sternen. Vielleicht will der Konzern mit Tela und Hakle tatsächlich europäische
Standbeine haben, um besser in den europäischen Markt zu
kommen. Es ist aber auch nicht auszuschliessen, dass der Konzern Synergien
nutzt, deshalb ein oder mehrere Werke in Deutschland, Österreich
oder der Schweiz schliesst und damit weitere Stellen abgebaut werden.
Gut drei Jahre nach dem grossen Feuer in Niederbipp ist die Zukunft
deshalb nicht mit Sicherheit abzuschätzen. Einerseits haben der
Tela-Brand und der Wiederaufbau die Gemeinde Niederbipp und den
Oberaargau als Industriestandort vorerst gefestigt, andererseits haben die
Ereignisse in einem globalisierten wirtschaftlichen Umfeld auch grosse
Unsicherheit hinterlassen.